Yardbird (Matt Abergel) - Hong Kong

Was New York für den Westen, ist Hong Kong für den Osten. Die Stadt, die niemals schläft. In der man seine Träume verwirklichen kann und ebenso schnell wieder weg vom Fenster ist, wie man es an die dünn besetzte Spitze geschafft hat. Einer, der in der Ostasiatischen Metropole sein Glück gefunden hat, ist der Kanadier Matt Abergel. Einen Namen gemacht hat sich der sympatische Kerl mit etwas typisch japanischem: Yakitori. 2011 hat er das Yardbird in Central eröffnet. Das Restaurant schlug ein wie eine Bombe. Reservieren konnte (und kann) man nicht, was heisst, dass sich massive Schlangen vor dem kleinen Lokal gebildet haben. Das Yardbird war so beliebt und der Andrang so gewaltig, dass man immer wieder Typen in schwarzen Anzügen und Krawatte allein an den engen Tischen im Keller sitzen sah, die lediglich an ihrem Wasser nippten, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, einen der begehrten Spiesse zu bestellen. Sie waren lediglich Platzhalter für ihre gut situierten Klienten, deren Fahrer sie eigentlich sind. Sobald der Boss eintraf, wurde der Platz ohne ein Wort zu sprechen geräumt und die Warterei ging im Wagen vor dem Eingang weiter. Das ist Hong Kong. Spielwiese der Superreichen.
Aufgrund des durchschlagenden und vor allem anhaltenden Erfolgs des Yardbird hat Abergel nach sechs Jahren beschlossen, umzuziehen. Die neue Location in Sheung Wan ist mal eben doppelt so gross wie die ursprüngliche. Prall gefüllt ist der Laden im schicken Industriedesign immer noch jeden Abend - bis zu 300 Gäste werden bewirtet. Wer nicht zeitig auftaucht, für den sind Wartezeiten bis zu 90 Minuten keine Seltenheit. Entsprechend bin ich auch nicht der Erste, als ich gut 15 Minuten vor Türöffnung eintreffe. Eine Gruppe junger Girls aus den USA ist bereits heiss auf den Einlass, ebenso ein britisches Paar mit ihrem Teenagersohn sowie mehrere Twentysomething-Pärchen. Die Ansammlung hungriger Menschen wird sich in der kommenden Viertelstunde vervierfachen und eine lange, lebendige Linie auf dem Trottoir bilden. Das Gedränge, als die magische Türe endlich geöffnet wird, gleicht kurzzeitig demjenigen vor einem Stadion, in dem gleich Rihanna oder Ed Sheeran auftreten. Am Empfang angekommen fragt die freundliche Dame: Tisch oder Tresen? Tresen selbstverständlich! Kaum sitze ich an der Bar, macht sich der Temperaturkontrast bemerkbar. Während die Warterei in schwüler Hitze bei über 30 Grad stattfand, herrschen nun bei gefühlten 10 Grad und voll aufgedrehter Klimaanlage Konditionen, die fast einen Schal rechtfertigen. Schnell einen Cocktail aus der Karte aussuchen und dem Körper mit Alkohol etwas Wärme suggerieren. Ein kurzes Gespräch mit dem Barkeeper später, steht ein „Bloody Kim Jong Il“ (!) vor mir - Vodka, Koreanische Chili und Tomate. Weckt auf und schmeckt exzellent. Selbigen Barkeeper frage ich, ob ich einfach einmal das komplette Angebot von Spiesschen bestellen kann. Er weist freundlich darauf hin, dass das wohl ein bisschen viel sein dürfte. Mal schauen…

Um dem Yakitori-Exzess etwas entgegenzustellen, bestelle ich von den hervorragenden, hausgemachten Pickles: Gurke, Inwger - Kimchi, Karotte - Daikon, Roter Shiso - Fenchel, Yuzu. Ein schöner Konstrast zum vielen Huhn, das auch immer wieder den Gaumen reinigt und die Papillen auffrischt. Die Zahnstocher-Orgie beginnt mit einem Innenschenkel mit Meersalz und Pfeffer, gefolgt von Sot-l’y-laisse mit Meersalz und Schenkel mit Tokyo Negi und Tare. Oh, wie habe ich dich vermisst, Yardbird - schön, endlich wieder hier zu sein. Mein Jetlag ist spätestens jetzt verflogen.

Weiter geht’s mit Schenkel, Ume und Shiso - Herz, Frühlingszwiebel und Ingwer - Leber, Sansho und Tare und dem berühmten ‘Meatball’ mit Tare und Eigelb. Hier sind direkt vier meiner liebsten Spiesse vereint. Drei der vier Teller sind sogar noch besser als beim letzten Besuch. Die Leber jedoch lag merklich zu lange auf dem Feuer und ist entsprechend nicht mehr zart. Geschmacklich dennoch gut. Über alle Zweifel erhaben ist das restliche Trio. Perfekt gegrillt, perfekt gewürzt, ein Fest.

Es folgt Haut mit Sake und Meersalz. Ein krosser Hochgenuss. Nacken mit Yuzu Kosho (Yuzu, Salz und Chilipfeffer) und Pfeffer herrlich sauer und belebend scharf, während die Flügel mit Meersalz und Shichimi (Sieben-Gewürz-Chilipfeffer) ebenfalls richtig Feuer haben und mich mit ihrem Umami betören.

Zum Schluss werden die etwas abseitigeren Cuts serviert. Angefangen mit dem stark kaubedürftigen Muskelmagen mit knusprigem Knoblauch, den ich grade wegen seiner Textur so sehr mag. Herrlich zart dagegen ist die Schilddrüse mit Sake und Knoblauch, mein heimlicher Favorit des Abends. Ventrikel, Tare und Kyoto Shichimi steht dem aber in fast nichts nach. Nachdem ich nun mit fast allen Spiesschen durch bin, geht es beim dritten Cocktail in die nächste Runde.

Einen besseren Auftakt um nach einer langen Reise ins Hong Konger Nachtleben einzutauchen, kann ich mir nicht vorstellen. Die Musik ist laut, die Gäste sind es auch, die Stimmung ist ausgelassen, die Drinks exzellent und das Essen fantastisch. Soulfood der einfach glücklich macht. Ein Königreich für ein Huhn und bei jedem Trip nach Hong Kong absolutes Pflichtprogramm. Am besten mehrfach. Mein persönlicher Tip: den Abend im Yardbird mit ein paar Drinks und vielen, vielen Spiesschen einläuten, danach einen Bar-Crawl starten, kurz vor Schliessung um Mitternacht zur Stärkung erneut ins Yardbird einfallen, um sich danach in den berauschenden Nächten Hong Kongs zu verlieren…


Yardbird
154-158 Wing Lok Street
Sheung Wan
Hong Kong
China
+852 2547 9273
Website