Dacosta & Caminada Interview

Eine Stunde vor Beginn des 4 Hand Dinners auf Schloss Schauenstein treffe ich die beiden Dreisterneköche Quique Dacosta und Andreas Caminada zum Gespräch. Wir sitzen im Rauchsalon des Schlosses, die beiden Herren wirken entspannt aber konzentriert. In der Küche, einen Stock tiefer, laufen derweil die Vorbereitungen auf Hochtouren. Quique Dacosta bringt zum Interview einen Dolmetscher mit, da es um meine Spanischkenntnisse leider eher schlecht bestellt ist. Giovanni, der gleichzeitig Maître des Quique Dacosta Restaurante ist, übersetzt für seinen Chef.

Wo habt ihr euch kennengelernt?
Andreas Caminada (AC): Das erste Mal haben wir uns getroffen, als ich eine Story für das Caminada Magazin (#2 „Glut“ – Anm. d. R.) über Quique Dacosta gemacht habe und dafür nach Dénia gereist bin. Wir hatten uns zuvor zwar schon an den World’s 50 Best Restaurants Awards getroffen, doch vor vier Jahren, als ich Quique für die Story besucht habe, hatten wir zum ersten Mal die Gelegenheit, etwas ausführlicher miteinander zu sprechen. Ich habe damals auch zwei Mal in seinem Restaurant gegessen.

Quique, hattest du auch schon die Gelegenheit auf Schloss Schauenstein zu essen?
Quique Dacosta (QD): Klar! Im letzten Jahr war ich zwei Mal zu Besuch in Fürstenau um Andreas’ Küche zu probieren.

Wie hat es dir gefallen?
AC: Frag ihn das nicht! (lacht)
QD: Wenn ich Andreas hier besuche, dann ist das nicht nur wegen des Essens. Ich komme auch aufgrund unserer Freundschaft und um von ihm zu lernen. Jedes Mal, wenn ich hierher komme, nehme ich von der Erfahrung etwas nach Dénia mit.

Andreas, wie gefiel es dir denn bei Quique?
AC: Es war sehr inspirierend. Wenn man einen offenen Geist mitbringt und Lust auf eine neue Erfahrung und eine neue Kultur hat, dann kann man eigentlich aus jedem Restaurant das man besucht etwas mitnehmen. Quique zum Beispiel ist ein Avantgarde-Koch, dennoch ist er sehr verbunden mit den lokalen Produkten wie den berühmten Roten Gambas und den Traditionen aus der Gegend wie den Oktopussen, die auf den Dächern in der Sonne trocknen. Solche Sachen zu sehen und zu essen ist einfach fantastisch. Naturgemäss mögen die Leute die am Meer leben ganz andere Sachen, haben andere Gaumenvorlieben als wir. Da lassen sich für uns „Bergler“ neue, unbekannte Geschmackswelten entdecken. Das kann manchmal durchaus eine Herausforderung sein, doch neue Sachen zu entdecken und kennenzulernen macht auch einfach unheimlich viel Spass.

Absolut. Heute werdet ihr zum ersten Mal gemeinsam kochen, richtig?
QD: Ja, das stimmt. Aber dafür in einem Monat bereits zum zweiten Mal.
AC: Richtig!

An welchem Event?
AC: Am OAD Europe Weekend (Opinionated About Dining - Anm d. R.) in Paris. Ich glaube das Motiv ist „Rezepte deiner Grossmutter“.
QD: Genau. Ein schönes Thema.
AC: Um zu deiner Ursprungsfrage zurückkommen; Für uns ist es das erste Mal überhaupt, dass wir hier auf Schloss Schauenstein einen Gastkoch empfangen um gemeinsam zu kochen. Ich habe nie zuvor ein 4 Hands Dinner hier gemacht. Heute handelt es sich also um eine Premiere. Und ich dachte am Morgen noch: „Mann, wir werden nicht genügend passendes Geschirr haben“. Normalerweise, wenn man ein Menü alleine plant, hat man eine genaue Vorstellung davon, wieviel man von allem braucht. Aber heute wird es nur schon mengenmässig eine Herausforderung werden. Es ist also ein ganz spezieller Anlass für uns wie du siehst. Aber auch für unsere Gäste, die heute etwas einmaliges hier im Schloss erleben und eine neue Erfahrung machen können. Ich bin sicher, viele von ihnen sind genauso aufgeregt wie wir selbst.
QD: Auch für mich und mein Team ist es aufregend und gleichzeitig eine Herausforderung sich ausserhalb der Komfortzone der eigenen Küche zu bewegen. Wenn man die Küche eine Komfortzone nennen kann (lacht). Im Vorfeld eines solchen Events stellen wir uns natürlich viele Fragen, die wir uns zu Hause nicht mehr stellen müssen. Dort läuft der Motor von alleine, wenn man so will. Bei Events wie diesem ist es uns am wichtigsten, dass die Gäste eine ebenso authentische wie hochstehende Erfahrung machen, wie wenn sie zu uns nach Dénia kommen würden. Sie sollen unsere Passion spüren. Wir sind einfach verrückt, passioniert aber auch romantisch, was unsere Arbeit betrifft. Anders geht es gar nicht. Sonst wäre ich Eisverkäufer am Strand und Andreas wäre Skilehrer in den Bergen (alle lachen). Diese irrsinnige Leidenschaft wollen wir auf den Gast übertragen.
AC: Was man nicht vergessen darf, auch für das Team ist es toll, solche Erfahrungen machen zu können. Grossartige Momente teilen zu dürfen. Alle arbeiten so unglaublich hart, das ist auch eine Art Dankeschön. Und auch sie können natürlich Neues entdecken und wir können gemeinsam immer weiter lernen. Es herrscht trotz der vielen Arbeit eine unglaublich positive Energie auf diesen Reisen. Auch das macht Events wie diesen so speziell.

Oftmals, wenn Köche reisen um an anderen Orten zu kochen, sind sie alleine unterwegs und nutzen ein ihnen unbekanntes Team vor Ort. Quique, du hast Giovanni, den Maître deines Restaurants, dabei. Hast du auch Köche mitgebracht?
QD: Natürlich! Denn das Kochen ist immer Teamwork. Auch wenn es heute ein 4 Hands Dinner unter unseren beiden Namen ist, geht es immer auch um die vielen weiteren Hände, die mitwirken. Ohne meine Mitarbeiter würde es ganz einfach nicht gehen. Ich könnte beispielsweise auch nicht hier sitzen um dir Rede und Antwort zu stehen, sondern müsste unten den Lunch vorbereiten. Ich bin kein Maler, der einsam vor seiner Leinwand sitzt. Es geht immer ums Teilen und um Vertrauen. Mein ganzes Team arbeitet schlussendlich in meinem Namen. Da müssen sie mir genauso vertrauen, dass ich immer das Beste für sie tun werde, wie ich darauf vertraue, dass sie das Bestmögliche für mich leisten. Auch darum ist es wichtig, sein eigenes Team bei solchen Veranstaltungen dabei zu haben. So kann ich sicherstellen, dass die Qualität unseres Stammhauses in Dénia auch hier in Fürstenau gewahrt wird. Wir sind hier wie ein Organ in einem fremden Körper und müssen uns zurechtfinden. Es geht darum, sich auf natürliche und bestmögliche Art mit ihm zu verbinden. Denn was heute passiert, muss magisch sein! Für uns, für die vielen involvierten Personen und vor allem natürlich für die Gäste. Denn sowas wie heute wird es wahrscheinlich lange nicht mehr geben, inklusive aller Fehler hoffentlich (alle lachen). Diese Möglichkeit besteht natürlich, schliesslich ist es heute das erste Mal.

Du hast die Antwort auf die folgende Frage eigentlich schon vorweggenommen, Quique. Denn meiner Erfahrung nach schaffen es viele Chefs bei Veranstaltungen wie der heutigen nicht, ein authentisches Erlebnis zu transportieren. Bis zu einem gewissen Punkt ist das absolut nachvollziehbar. Doch wenn man als Chef ganz alleine reist und nicht auf seine Köche oder das Servicepersonal zurückgreifen kann, wird es sehr, sehr schwer auch nur einen Bruchteil seines Restaurants, seiner Küche den Gästen in der Fremde näher zu bringen.
AC: Da gebe ich dir absolut recht. Deshalb halte ich es im Sinne der Professionalität für unabdingbar, sein Team mitzunehmen. Für mich beispielsweise ist das ganz klar: kann ich mein Team nicht mitbringen, werde ich an einem solchen Event nicht teilnehmen. Wie könnte ich auch? Ich kann ja nicht einfach eine Schublade öffnen und dort meine fertigen Gerichte herausziehen. Wie gesagt, für mich ist es unabdingbar und im Sinne der Professionalität zwingend notwendig. Mein Kernteam von 6-7 Personen muss einfach dabei sein um unsere hohen Standards sicherstellen zu können.
QD: Natürlich würde es theoretisch noch eine andere Möglichkeit geben. Das Team vom Restaurant, in welchem du kochen wirst, kommt in dein Restaurant und lernt alles Notwendige um deine Küche replizieren zu können. Aber das wäre um einiges schwieriger und umständlicher. Nimm als Beispiel einen Korbmacher. Er macht das sein ganzes Leben, arbeitet intuitiv. Du kannst dich neben ihn setzen, ihm zuschauen, versuchen nachzumachen, was er dir zeigt. Aber selbst wenn er dir erklärt, wie genau es funktioniert, wirst du es nicht nach fünf Minuten reproduzieren können. Auch das Kochen ist sehr intuitiv, ein Handwerk, das man sein Leben lang ausübt. Aber nicht jede Person, die kochen kann, ist auch automatisch in der Lage meine Küche wiederzugeben. Die Emotionen, die damit verbunden sind. Die Seele, die in den Gerichten steckt. Ein Teil dieser Seele, dieser Emotionen, ist immer das Team.

Wir kommen bereits zu den letzten beiden Fragen. Wird es heute ein Gericht geben, bei dem ihr beide kollaboriert habt?
QD: Das Menü ist so strukturiert, dass ich den Meeres-Part übernehme und Andreas den Berg-Teil (der Event heisst Mare e Monti - Anm. d. Red.).
AC: Genau. So kombinieren wir unsere beiden kulinarischen Welten.
QD: Aber es wird einen Gang geben, den wir gemeinsam entworfen haben. Lass dich überraschen (lacht).

Nachdem wir bis jetzt viel über das Kochen an sich und die damit verbundenen Emotionen gesprochen haben, soll die letzte Frage eine geschäftliche sein. Gestern wurden die Plätze 51-100 der World’s 50 Best Restaurants Liste veröffentlicht. Letzes Jahr wart ihr beide noch in den Top 50 vertreten, dieses Jahr musstet ihr einige Plätze einbüssen (Quique Dacosta von 49 auf 62 / Schloss Schauenstein von 47 auf 72). Was bedeuten euch Auszeichnungen wie diese auf persönlicher Ebene und wie denkt ihr, wird es euer Geschäft beeinflussen?
AC: Nun, ob das Auswirkungen aufs Geschäft hat, werden wir natürlich erst sehen. Aber mittlerweile gibt es so viele Listen, dass man sich schlichtweg nicht um alle kümmern kann. Wir waren jetzt sieben Jahre in den Top 50 vertreten, das war grossartig. Ich finde, es ist eine tolle Auszeichnung. Nun sind wir hier nicht mehr so weit oben vertreten, dafür haben wir auf anderen Listen einen Sprung nach vorne gemacht. Beeinflussen können wir sowieso nur die Qualität hier vor Ort. Um in gewissen Listen sehr weit vorne mitzumischen, muss man sich viel ausserhalb seiner vier Wände bewegen, was ich eigentlich ungern tue. Und ich denke vor allem, drei Michelin Sterne sind immer noch weltweit das wichtigste Kriterium für eine ausgezeichnete Küche. Das wird von den Köchen sowie von den Gästen nach wie vor so gesehen. Das ist auch das, was wir hegen und pflegen wollen. Ich möchte meine Gäste hier auf Schloss Schauenstein begrüssen und dafür verantwortlich sein, dass die Qualität meiner Küche stimmt. Das Ziel ist es, uns Jahr für Jahr zu verbessern, was uns meiner Einschätzung nach gelingt. Das ist das Wichtigste. Bei Listen wie den World’s 50 Best darf man nicht unterschätzen, dass wir nicht in einer grossen Stadt oder einer hippen Destination sind. Das heisst, wir kriegen auch zu wenige Votes. Wir müssten viel mehr Voters hierher bekommen, um in der Liste weiter auf den vorderen Plätzen bestehen zu können. Und das ist sicherlich auch dasselbe Problem bei Quique in Dénia. Wie bei vielen anderen Dingen ist das natürlich auch immer eine politische Entscheidung.

Die Schweiz und Spanien sind ja nicht gerade als kulinarische Hipsterdestinationen bekannt im Moment.
AC: Ja. Vielleicht müsste man auch einfach das Wahlsystem überdenken.

Im Gegensatz zu Spanien war die Schweiz ja sowieso nie ein grosses Thema auf der Liste, abgesehen vom Schauenstein und dem Hotel de Ville in Crissier. In den Anfangstagen war die Kronenhalle eines der gelisteten Restaurants und das Chez Vrony in Zermatt. Damit hat sich's.
AC: Genau. Ich weiss grade nicht, ob noch ein anderes Schweizer Restaurant in den Top 100 ist.

Nein.
AC: Das ist ja eigentlich tragisch, wenn man sich die Qualität der hiesigen Restaurants ansieht. Aber eben, das ist wohl einfach ein Teil dieses Systems, welches man durchaus hinterfragen kann.

Quique, wie ist deine Meinung dazu?
QD: Am Ende des Tages geht es darum, den Gast zufrieden zu stellen. Er kommt extra zu uns, um unsere Küche zu geniessen. Dieser direkte Kontakt und die Zufriedenheit des Gastes ist die wichtigste Auszeichnung für uns. Auf der anderen Seite leben wir natürlich in einer durchorganisierten Welt, in der man am liebsten alles in Listen kategorisieren würde. Und wenn man in einer solchen Liste ein paar Plätze verliert, ist das erstmal nicht erfreulich. Es könnte der Eindruck entstehen, man habe seine Standards gesenkt. Auch wenn natürlich alle wissen, dass das nicht der Fall ist. Im Juli 2017 wird unser Restaurant sein 36-jähriges Bestehen feiern. Und jedes Jahr unseres Bestehens haben wir einen Schritt nach vorne gemacht. Lange bevor wir auf diesen Listen aufgetaucht sind. Oder sogar lange bevor es solche Listen überhaupt gab. Wir gehen unseren Weg und orientieren uns dabei nicht daran, es irgendwelchen Listen recht zu machen, sondern unseren Gästen und uns selbst.
AC: Und mit drei Michelin Sternen hast du sowieso das Mass aller Dinge erreicht, was die Qualität deines Restaurants betrifft. Der Rest ist einfach ein Trend. Der angesagte Hotspot. Aber bei uns geht es immer ausschliesslich um die Qualität. Die Liste sollte eigentlich „The Hottest Restaurants in the World“ heissen.

Dem kann ich nur beipflichten.
AC: Es ist auch einfach nicht möglich, gewisse Sachen zu „taxieren“. Ich habe einen anderen Geschmack als Quique oder Du. Jeder von uns hat schlussendlich seine eigene Bestenliste.
QD: Ich habe jedenfalls heute Nacht sehr gut geschlafen (lacht).
AC: Klar! Du hast ja auch in einem tollen Bett in einem wunderschönen Zimmer übernachtet (alle lachen).

Mehr gibt es wohl nicht zu sagen (alle lachen). Danke für eure Zeit.