f39 (Benjamin Forrer und Philipp Graber) - Zürich
Hört man die Bezeichnung “f39”, denkt man wohl eher an ein Flugzeug, ein Auto, von mir aus sogar an ein Additiv einer Zahnpasta, als an den Namen eines Restaurants. Zumindest ging es mir so, als mir das erste Mal jemand vom “f39” erzählte. Tatsächlich ist es aber der Name eines Restaurants im Zürcher Seefeld Quartier. Wer dahinter eine elaborierte und verklausierte Geschichte erwartet, wird wohl enttäuscht. Das Lokal befindet sich an der Fröhlichstrasse 39. That’s it. Eine erfreulich unprätentiöse Namensfindung. Unprätentiös wird eines der Schlagwörter des Abends werden, soviel sei an dieser Stelle bereits vorweg genommen.
Betritt man das an einer wenig befahrenen Quartierstrasse gelegene Restaurant, fühlt man sich wie bei jemandem zu Hause im Wohnzimmer. Warmes Licht und viel Holz prägen das Interieur. Linker Hand steht ein deckenhohes Bücherregal, gut bestückt mit einer beeindruckenden Bibliothek unterschiedlichster Kochliteratur. Eine kleine Bar mit zwei Sitzplätzen steht vor der Küche, daneben mehrere Regale, in denen Weine und Gläser untergebracht sind. Dabei ist der Raum geradezu putzig klein. Maximal 16 Personen finden hier gleichzeitig Platz. Ein Lokal, in dem man es sich einfach nur gemütlich machen und eine gute Zeit verbringen möchte. Der Drang, hier eine gute Zeit erleben zu wollen, wird durch die Musikauswahl (Hip-Hop aus den goldenen Tagen) zusätzlich verstärkt. Jetzt muss nur noch das Essen mit dem Vibe mithalten können.
Los geht es ganz bescheiden mit knackig-säuerlichem gepickeltem Rettich. Schmeckt. Die darauffolgende Focaccia Tartine mit Rande, Brunnenkresse, Apfel und Quark sorgt aufgrund ihrer sehr stattlichen Grösse kurz für Stirnrunzeln. Doch ich werde direkt mit den Worten beruhigt, dass “die Tartine viel leichter ist, als sie aussieht”. Tatsächlich ist das Brötchen entgegen des optischen Eindrucks beinahe luftig-leicht. Die Auflage überzeugt durch ihre Natürlichkeit sowie die Feinabstimmung der einzelnen Komponenten. Aufgrund der Menge an unterschiedlichen Beten obenauf würde man annehmen, dass sich das Ganze reichlich süss zeigt. Doch die erdige Gemüsesüsse wird durch die pointierte Schärfe der Senföle der intensiven Brunnenkresse (selbst gesammelt in nahen Bach) gekonnt konterkariert. Verbunden werden die Elemente durch die Fettigkeit des Quarks, der dem Ganzen auch einen stabilen Unterbau verleiht. Hervorragend!
Nun geht’s warm weiter mit Sellerie, Miso und Honig. Ganz unscheinbar, wie eine zu blasse Lasagne, liegt der geschichtete Sellerie in einem Sud, den man ohne olfaktorische Wahrnehmung beim Angiessen wohl einfach als warmes Wasser abtun würde. Klingt alles andere als spannend, ist aber das komplette Gegenteil. Das vielschichtige Umami des Sellerie ist toll rausgearbeitet, die Kombination mit der komplexen Miso und dem süsslichem Honig funktioniert sehr gut. Auch wenn auf Dauer die Süsse ein wenig zu stark in den Vordergrund rückt. Würde man statt des Honigs die Miso etwas mehr in den Vordergrund rücken, würde das der Kreation in Sachen Harmonie sicherlich zuträglich sein. Dennoch sehr schmackhaft. Noch besser ist das pochiertes Eigelb mit Eiweissschaum und Rosenkohl. Eier als Hauptdarsteller in der gehobenen Küche langweilen mich mittlerweile oftmals so sehr wie Foie gras. Allerdings umschiffen die Chefs des f39 das ewig gleiche “schlotzige Eigelb” Thema sehr souverän, indem sie dem Rosenkohl viel Platz zur Entfaltung geben. Mit der pointierten Bitternis des deklinierten Kohls wird der mundfüllenden Üppigkeit des Eis ein kräftiger Konterpart gegenübergestellt, der dem Gericht die nötige Leichtigkeit und Spannung verleiht. Simpel auf den Punkt gebracht.
Noch besser wird es beim Winterspinat mit Lachsforelle und Hollandaise. Von superber Qualität und ebenso zubereitet ist der zartrosane und saftige Fisch, dessen Lamellen sich einfach abblättern lassen. Was sich sehr trifft, denn so bekommt man mehr der noblen und federleichten Sauce um das Fleisch, die es ganz zart untermalt. Dieses ätherisch-zarte Duo wird durch die erdige, subtile Bitternis des Spinats aufgebrochen und damit genau um die Komponente erweitert, die aus einem guten ein hervorragendes Gericht macht. Könnte ich direkt nochmal essen.
Bevor der Hauptgang serviert wird, schicken Forrer und Graber einen Rachenputzer bestehend aus Fenchel, Apfel, Bergamotte und Joghurt. Eine angenehm herbe, säurebetonte Kühle belebt alle Sinne und schärft sie nochmal für den restlichen Abend. Rindsentrecôte, Palmkohl, Federkohl, Beurre Noisette und Kartoffel könnte eigentlich harmloser kaum sein, entpuppt sich aber unerwarteterweise als einer der besten Hauptgänge in jüngerer Vergangenheit. Zum einen liegt das am phänomenalen Fleisch aus dem nahen Zürcher Oberland, das mich in Sachen Eigenaroma und Kernigkeit an eine alte spanische Kuh erinnert. Doch damit nicht genug, denn auch die alltäglich und öde erscheinenden Beilagen haben es in sich. Sie bewegen sich qualitativ auf demselben hohen Niveau wie das Fleisch, sprich, sie verfügen über reichlich Geschmack und sind dazu absolut auf den Punkt gekocht. Den letzten Anstrich verpasst dem Hauptgang die Beurre Noisettte, deren Fettigkeit das Ganze zusammenbringt und gleichzeitig akzentuiert. Wow! Ich hab schon in einigen Sterneläden Hauptgerichte aufgetischt bekommen, die hiermit nicht ansatzweise mithalten können.
Eine meiner grössten Freuden ist immer noch ein gut bestückter Käsewagen im Restaurant. Das physische Gefährt gibt es im f39 zwar nicht, oder zumindest wird es nicht an meinen Tisch gekarrt, dafür jedoch eine Auswahl von acht unterschiedlichen, wunderbar gereiften Käse. Pure Wonne.
Beim ersten Dessert lerne ich etwas kennen, das ich in dieser Form bisher noch nie gegessen habe: ein kräftig pink leuchtendes Ruby-Schokolade Glacé. Die Schokolade wird nicht etwa durch künstliche Farbstoffe in ihrem Erscheinungsbild verändert, sondern durch natürliche Pigmente, die der Ruby Kakaobohne innewohnen. Obwohl das Schokoladige geschmacklich unverkennbar da ist, wohnt der Ruby merklich mehr Säure inne, was sie nicht ganz so opulent erscheinen lässt. Dazu gibt’s Rhabarber und Rande, deren Geschmacksprofile wie perfekt auf die Schokolade zugeschnitten scheinen. Anders gesagt, sie ergänzen sie optimal und runden das Dessert ab.
Karotte, Bavarois mit eingelegten Kirschblüten und Birne sind die Zutaten eines kleinen Gugelhopfs. Obwohl das Küchlein eine gewisse Vertrautheit ausstrahlt, erzeugt es auch Spannung. Diese rührt hauptsächlich von der Kirschblüte her, da die japanisch inspirierte Beigabe ein ungewöhnliches Mosaik aus subtil floralen Noten, dezent bitterem Unterton und einer gewissen Salzigkeit beisteuert. Erst nach und nach entfaltet sie ihr gesamtes Spektrum und steuert dadurch eine nicht zu unterschätzende Komplexität bei. Ganz zum Schluss gibt es noch ein kleine Auswahl von Petits Fours: Berner Brezel mit Karamell, Apfel und Calvados - Macaron mit Zwetschge und Ganache - Madeleine mit Raps. Allesamt sehr gelungen, wobei das Madeleine einer besonderen Würdigung bedarf.
Selten zuvor habe ich in einem Wohnzimmer (oder zumindest in wohnzimmerähnlicher Atmosphäre) so hervorragend gegessen. Benjamin Forrer und Philipp Graber sorgen in ihrer Stube nicht nur für heimeliges Wohlfühlen, sondern überzeugen auch mit ihrer Küche. Obwohl die Kreationen auf den ersten Blick eher modern und nordisch inspiriert wirken, bewegen sie sich geschmacklich in eher klassischen Gefilden. Was ich unbedingt positiv verstanden wissen möchte. Denn die exzellenten lokalen Produkte stehen immer im Mittelpunkt, und sind “naturnah” inszeniert. Sprich, kein grosser Firlefans bei der Würzung, die hier generell angenehm zurückhaltend erfolgt. Die Kreationen sind verständlich und zugänglich, ohne dabei auch nur die geringste Spur von Langeweile zu versprühen. Momentan ist das f39 eher noch ein Geheimtipp und das Konzept wirkt wie eine Art Quartierbeiz 2.0. Doch die Ambitionen gehen eindeutig über die eines Friendly Neighbourhood Restaurants hinaus. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass die beiden Chefs perspektivisch einen Stern im Michelin anstreben. Die Grundvoraussetzungen, um diesen zu erkochen, sind zweifellos vorhanden.
f39
Fröhlichstrasse 39
8008 Zürich
Schweiz
+41 (0)44 383 21 39
Website
Die Weine:
2017 Écume Mousseux Brut, Sextant - Julien Altaber, Burgund, Frankreich
Shaman 15 Extra Brut, Marguet Père and Fils, Champagne, Frankreich
2018 Les Pièces Longues, Mas del Périé - Fabien Jouves, Cahors, Frankreich
2018 Auxerrois 350 N.N., Odinstal, Pfalz, Deutschland
2016 Chardonnay Sinzheimer Am Altenberg, Kopp, Baden, Deutschland
2017 Crozes-Hermitage, Dard & Ribo, Crozes-Hermitage, Frankreich
La Bota 84 de Vino Blanco “Florpower” MMXVI, Equipo Navazos, Sanlúcar de Barrameda, Spanien
2011 Sonnenglanz, Domaine Bott Geyl, Elsass, Frankreich
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