Alter Torkel - Jenins

Wenn unerwartet eine E-Mail ins Haus flattert, deren Absender der ehemalige Sommelier von Andreas Caminada ist und dieser darin verkündet, dass er ein eigenes Lokal eröffnet, sind die Ohren sofort gespitzt. Oli Friedrich war lange Jahre das Gesicht an der Front auf Schloss Schauenstein. Zuvor hat man ihn unter Umständen auch schon im ebenfalls dreifach besternten Bareiss im Schwarzwald oder im Mesa in Zürich erlebt (wo ich ihn vor bald 15 Jahren kennenlernte). Nach einem Intermezzo im Park Vitznau am Vierwaldstättersee, haben er und seine Frau Julia die sich unerwartet bietende Möglichkeit genutzt, in Jenins dem Alter Torkel neues Leben einzuhauchen - und sich damit einen Traum erfüllt. Das altehrwürdige Lokal war früher eine der Weinpressen für die umliegenden Winzer und wartet im Innern mit einem beeindruckenden Torkel auf, der bald 300 Lenze (!) zählt. Dazu liegt das Gasthaus an wahrlich spektakulärer Lage in der Bündner Herrschaft, mitten in den Reben.

alter torkel_oliver_friedrich_in_den_reben

Der erste Eindruck bei perfektem Sommerwetter ist fantastisch. Einer äusserst herzlichen Begrüssung folgt der Blick über die spektakuläre Landschaft des Bündner Rheintals, das dem Alter Torkel zu Füssen liegt. Es gibt auch einige Tische unterhalb der Terrasse, direkt am oberen Ende der Reben, die heissbegehrt sind, wie man mir sagt. Ich sitze oben direkt neben der Pergola, von wo aus man einen noch besseren Blick auf die umliegende Natur geniesst. Nur schon diese malerische Lage rechtfertigt einen Besuch hier. Doch mich interessiert neben dem Ausblick natürlich, was die Torkel-Mannschaft in der Küche so alles anstellt und welche Trouvaillen im Keller liegen.
Wie es sich für ein modernes Gasthaus gehört, ist man hier ganz unkompliziert, was die Wünsche seiner Besucher angeht. Ich lasse Oli Friedrich lediglich wissen, dass ich gerne möglichst viele Gerichte probieren möchte. Auswahl und Abfolge überlasse ich ihm und dem Küchenteam um Chef David Esser. Doch bevor der kulinarische Teil des Abends beginnt, muss ich dringend meine von einer Wanderung ausgetrocknete Kehle benetzen. Der Patron empfiehlt zum Start den Hausschaumwein AT Selektion und trifft damit mitten ins Schwarze. Die Spezialabfüllung vom Weingut Adank besteht aus 100% Pinot Noir, der 2015 abgepresst wurde und anschliessend vier Jahre in gebrauchten Barriques lagerte. Das Dosage Zéro Goldstück ist knochentrocken, frisch, feingliedrig und kommt sehr elegant daher. Absolut perfekt für einen heissen Sommertag und mit Sicherheit auch ein toller Essensbegleiter.

Das zeigt er bereits beim eingelegten Marktgemüse aus Landquart, Jeninser Alpkäse von Astrid & Andreas Obrecht 2018 vs. 2019 und Hirschsalsiz von Pepino Lozza. Diese Vesperplatte ist der optimale Auftakt für einen langen Abend. Allesamt tolle Produkte, die die Region perfekt widerspiegeln. Für mich könnten die gepickelten Gemüse ein wenig mehr Säure vertragen, doch das ist nur meinem persönlichen Geschmack geschuldet. Der Käsevergleich ist spannend (der 18er hat die Nase vorne) und das Salsiz exzellent. Ganz hervorragend ist auch die Entenleberterrine mit Portwein-Feige und Brioche. Mit einer kalten und betont klassischen Foie-Kreation derart zu überzeugen, schaffen bei mir nicht mehr viele Köche. Chapeau. Dem steht der Siedfleischsalat von Reto Ruof mit Schnittlauch-Vinaigrette, Meerrettich und Kapern in nichts nach. Erstaunlich, wie leicht und beschwingt sich dieser fein ausbalancierte Klassiker der Hausmannskost präsentiert. Ein Auftakt nach Mass!

Der erste warme Teller ist mit Fläscher Spargelravioli, Morcheln und Erbsen bestückt. Ein wunderbar leichtfüssiges und gleichzeitig herzhaftes Gericht, das man auch bei schweisstreibenden Temperaturen gerne isst. Ebenso gelungen zeigt sich das auf den Punkt gewürzte Bio Rindstatar mit hausgemachten Essiggurken und Eigelb. Ich bin kein grosser Tatar-Fan, doch dieser Version ist köstlich. Den Abschluss dieser Sequenz macht ein herrlich schlotziges Acquarello-Risotto mit Bärlauch, Riesengarnele und Parmesan. Die grün-herben Noten nehmen auch dieser Kreation jegliche Schwere und auch die saftige Garnele ist nicht nur schmuckes Beiwerk, sondern ergänzt den Teller sinnvoll und mit einem Hauch von Mittelmeer.

Der erste von drei Hauptgängen ist ein gebratenes Stück Seeteufel mit Aubergine, Rösti und Pesto. Klingt beim Annoncieren etwas forciert, zeigt sich jedoch als gefällige Verbindung von mediterranen Aromen mit rustikaler Schweizer Alltagsküche. Lediglich der Salzeinsatz dürfte einen Ticken zurückhaltender sein. Mit dem Eindunkeln und der langsam fallenden Temperatur wird’s auf dem Teller mollig und deftig. Knuspriger Schweinebauch mit Bad Ragazer Capuns ist ein Wohlfühlgericht höchster Güteklasse und wartet mit den vielleicht besten Capuns auf, die ich bisher gegessen habe. Grossartig! Obwohl sich die Küche keineswegs abhetzte und immer eine angenehm grosszügige Pause zwischen den einzelnen Gängen lag, bin ich langsam aber sicher ziemlich satt. Doch die geschmorten Kalbsbäggli mit Kartoffelstampf und glasierten Rübli müssen auf jeden Fall noch probiert werden. Alles davon kann ich zwar leider nicht mehr essen, doch das Kosten hat sich allemal gelohnt. Tadelloses Handwerk, ein tolles Hauptprodukt und eine Sauce mit Tiefgang. Für ein Dessert reicht der Platz nun unglücklicherweise wirklich nicht mehr. Beim nächsten Mal dann.

alter_torkel_oli_friedrich_jenins_wein

Die flüssigen Begleiter des ersten Besuchs im neuen Alter Torkel: AT Selektion von Patrick Adank - Completer Grand Maître 2018 vom Weingut Roman Hermann - Chardonnay Barrique 2012 von Schifferli Wein.

alter_tokel_oli_friedrich_nacht

Oli Friedrich ist mit der Übernahme des Alter Torkel ein spektakulärer Coup gelungen. Gemeinsam mit seiner Frau Julia und einem talentierten wie engagierten Team, hat er aus einer altbackenen Touristenfalle ein Lokal geformt, das man am besten mit einem Wort beschreibt: phänomenal. Trotz seines jugendlichen Charmanter-Schwiegersohn-Looks ist Friedrich ein alter Hase, der in der (Spitzen-)Gastro schon so einiges gesehen hat und genau weiss, worauf es in einem erfolgreichen Betrieb ankommt. Neben der grandiosen Aussicht und Lage mitten in den Rebbergen, müssen auch die restlichen Teile überzeugen, um ein stimmiges Gesamtpaket zu bilden. Und das tun sie, ohne wenn und aber. Die ausschliesslich mit lokalen Erzeugnissen bestückte Weinkarte setzt nicht einfach auf die bekannten Namen der Region und deren Aushängeschilder, auch wenn diese natürlich mit Teil des Angebots sind. Bei genauerer Betrachtung merkt man, wie umsichtig der Keller bestückt wurde. Selbst Kenner der Bündner Herrschaft dürften durchaus noch die eine oder andere Flasche entdecken, die es sonst wohl nirgends zu finden gibt. Nicht zuletzt weiss auch die Küchenbrigade um David Esser, den Friedrich aus dem Park Vitznau mitgebracht hat, auf ganzer Linie zu überzeugen. Die Gerichte sind im besten Sinne unkompliziert, ohne dabei zu langweilen. Dass der Qualität der verwendeten Produkte grosse Bedeutung beigemessen wird, lässt jeder einzelne Teller erkennen. Schlussendlich werden die ausnahmslos sehr guten Erzeugnisse tadellos zubereitet und unverfälscht inszeniert. Im neuen Alter Torkel stimmt einfach alles. Spektakuläre Szenerie, exzellente Weine, tolles Essen. Die besten Ingredienzien, um immer wieder nach Jenins zu pilgern, an einem der schönsten Orte der Schweiz das Leben in vollen Zügen zu geniessen und die Seele baumeln zu lassen.


Alter Torkel
Jeninserstrasse 3
7307 Jenins
Schweiz
+41 (0)81 302 36 75
Website