Hiša Denk (Gregor Vračko) - Zgornja Kungota

Hiša Denk (Gregor Vračko) - Zgornja Kungota

Spätestens seitdem die Macher der überaus beliebten Netflix Serie “Chef’s Table” in der zweiten Staffel eine bis dahin vor allem in Fachkreisen bekannten Köchin namens Ana Roš eine eigene Episode widmeten, ist Slowenien auf der kulinarischen Weltkarte kein weisser Fleck mehr. Doch abgesehen von der gemäss The World’s 50 Best Restaurants besten Köchin der Welt, kennt man auch einige Jahre später kaum einen Chef aus dem Kleinstaat zwischen Österreich, Italien, Kroatien und Ungarn. Ein Umstand, den es zu ändern gilt.
Als meine Reise in die Steiermark ansteht, taucht immer wieder der Name Gregor Vračko auf. Der ist nach Jahren in hochdekorierten Küchen im Ausland - er stand unter anderem kurzzeitig in Juan Amadors Brigade und in Thomas Kellers The French Laundry in Yountville am Herd - wieder nach Zgornja Kungota, das sich nur einige Fahrminuten vom südöstlichsten Ende der Steiermark in Slowenien befindet, zurückgekehrt, um das Familienrestaurant weiterzuführen. Der ambitionierte Jungspund wollte allerdings nicht die einfache Wirtshausküche präsentieren, die bereits seine Grosseltern hier kochten. Er beschloss, dass es ein komplett neues Hiša Denk geben muss. Die Vision des Neuen fängt beim Haus selbst an. Also wird abgerissen und neu gebaut. Vieles davon in Eigenregie. Dass der Chef nicht nur in der Küche eine - hoffentlich - gute Figur abgibt, sondern auch ein sehr treffsicherers Auge für (Innen-)Architektur hat, zeigt sich bei meiner Ankunft. Der erste Blick vom Parkplatz offenbart eine nüchterne, geradlinige Fassade mit viel Holz, die ein wenig geheimnisvoll und dabei sehr einladend wirkt. Drinnen zeigt sich jedoch erst die komplette Pracht des Baus. Hier hat jemand seinen Traum ohne Kompromisse umgesetzt, was in einem wahrlich spektakulären Restaurant mündete. Das Zusammenspiel von warmem Holz, riesigen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichen, und dunkel gestrichenen Modulen könnte trefflicher nicht sein. Würde der Michelin Macarons für Innenarchitektur verteilen, das Hiša Denk wäre mit Sicherheit eine Reise wert. Nach einem Rundgang durchs Restaurant setzte ich mein fast ungläubiges Staunen am Tisch bei einem Glas Champagner fort. Eine Speisekarte gibt es hier nicht, wie mir erklärt wird. Vračko fragt nach Allergien, Abneigungen und dergleichen, doch abgesehen davon, begibt man sich in seine Hände und weiss nicht, was einen in den kommenden Stunden erwartet. Wenn es nur halb so beeindruckend wie das Interieur ist, dürfte es grossartig werden. Mal schauen…

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Eine Reihe von Snacks eröffnet den Lunch: Flüssige Praline aus Vogerlsalat mit Essigmutter – Speck-Zbrinc Tartelette – Walnuss aus geräuchertem Schweinehirn – Kalbsfusspraline. Vračko zeigt mit dieser Auswahl gleich, dass die Mittagszeit in seiner Welt sehr spannend werden könnte. Jede der Kleinigkeiten überzeugt durch präzises Handwerk und tolle Würzung. Einstieg gelungen.

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Gleichzeitig mit einer abwechslungsreichen Selektion von Brot und verschiedenen Aufstrichen - unter anderem erneut Kalbshirn, das in dieser Gegend sehr beliebt zu sein scheint - wird ein Rotkraut-Cornet mit Ente aufgetragen. Genau wie bei den Amuses zuvor besticht auch hier das Zusammenspiel von makelloser Technik (die hauchdünne Cornet-Hülle ist beeindruckend fragil gearbeitet) und exzellent abgeschmeckter Füllung.

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Die letzte Petitesse, bevor es mit dem Menü losgeht, ist eine Gewürz-Macaron mit Bachforelle und Sauerbrot. Dieser Happen zeigt die etwas rustikalere Seite des Chefs. Sie weckt Assoziationen an ein von Grossmutter geschmiertes Fischbrötchen zur Vesper, das den nachmittäglichen Hunger verjagt. Sehr charmant.

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Äusserst hübsch präsentiert sich der erste Gang des Menüs, das es ja eigentlich gar nicht gibt. Die Zutaten Wilder Bachsaibling, Kürbis und Löwenzahn hören sich wenig spektakulär an, entpuppen sich im Miteinander aber als absolut grossartig. Angefangen beim Fisch, der einen solch puren und authentischen Geschmack hat, wie das kristallklare Wasser eines Bergbaches. Was für eine grandiose Qualität! Die Begleitung arbeitet diesem herrlichen Produkt ganz behutsam zu. Sie streut ein wenig Süsse ein, ein bisschen belebende Bitternis und grüne Frische, teilweise auch nur etwas knackige Struktur. Alles, um den Saibling ins bestmögliche Licht zu rücken. Was auch ganz hervorragend gelingt. Nach den bereits vielversprechenden Snacks, ein sehr gelungener Auftakt in den substantielleren Teil des Lunchs.

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Da können die Jakobsmuscheln und die ersten Gurken vom eigenen Feld nicht mithalten. Was hauptsächlich an den St. Jacques liegt, die nicht auf der höchsten Qualitätsstufe anzusiedeln sind. Auf dieses Problem trifft man in enorm vielen ambitionierten Restaurants, weshalb ich mich immer wieder frage, warum man ein nicht herausragendes - oder zumindest sehr gutes - Produkt überhaupt zum Einsatz bringt. Gerade in einem Laden wie dem Hiša Denk, der einen gewissen modern-regionalen Vibe hat und ja bereits nachgewiesen hat, dass es in der näheren Umgebung tolle und spannende Produkte zu entdecken und verarbeiten gibt. Fairerweise muss ich sagen, dass das Meer ja nur gut zwei Autostunden entfernt von Zgornja Kungota liegt und ich nicht nachgefragt habe, ob die Muscheln direkt von dort stammen. Was aber sowieso nichts an deren suboptimalem Qualitätsstandard ändert. Das ist durchaus schade, denn die knackig-frische Einfassung würde eigentlich ganz gut passen und sich auch vom süss-nussigen Einerlei abheben, das die Jakobsmuschel sonst gerne begleitet. Aber ein Gericht wie dieses steht und fällt halt mit Hauptdarsteller.

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Dieser ist bei Schulter und Bauch vom Mangalitza-Schwein mit Kohlrabi über jeden Zweifel erhaben. Die ursprünglich aus Ungarn stammende Wollschweinrasse ist bekannt für ihren markanten und sehr eleganten Geschmack, der sich vor allem in der schneeweissen Fettschicht versteckt. Für mich ist diese Rasse im Kontext von Schweinefleisch vergleichbar mit einem Rind aus der Präfektur Kagoshima. Sprich allerhöchste Qualitätsstufe und nichts für Fettverächter. Der Chef macht es sich mit einem solch herausragenden Produkt natürlich denkbar einfach, da er auch damit umzugehen weiss. Während im schwarzen Teller die herrlich mürbe Schulter gekonnt von etwas knackigem Kohlrabi kontrastiert wird, liegt hinten im ausgehöhlten Kohlrabi der eigentliche Höhepunkt dieses erneuten zweigeteilten Gangs. In einer sanft abgeschmeckten Brühe liegt das wundersaftige, hocharomatische Stück Mangalitza-Bauch, das am Gaumen förmlich dahinschmilzt. Dabei verbindet sich das Schwein fast vollständig mit dem Kohlrabi zu einem molligen, fettigen und erdigen Elixir, das alle Geschmacksknospen flutet und in wohlige Extase versetzt. Unfassbar, wie verdammt lecker das ist. Die einfachen Dinge sind eben oftmals die besten.

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Auf ähnlichem Niveau bewegt sich der wilde Zander mit Flan seiner Leber, Spargel und Spargelmilch. Auch in diesem Fall nimmt sich der Chef zurück und lässt die Zutaten für sich sprechen. Den exzellenten Fisch versieht er lediglich mit reichlich Röstaromen, die diesem sehr gut stehen, und flankiert ihn mit einer Deklination vom weissen Spargel. Ein Teil der Stängel ist ebenfalls stark geröstet, was direkt die Brücke zum Zander schlägt, während ansonsten die noble, leicht bittere Zurückhaltung des knackigen Gemüses als perfekte Untermalung dient. Richtig gut. Spannend ist auch der Inhalt der à part gereichten Glasschüssel, denn der sehr intensive Eigengeschmack der Fischleber wird hier in den Vordergrund gerückt. Sie schmeckt sehr kantig und herb, nicht wie zum Beispiel die an Foie gras erinnernde Leber einer Lotte, und ist sicher nicht jedermanns Sache. Muss man zwar nicht mögen, kann man aber durchaus. Insgesamt ein toller Gang.

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Bevor der Hauptgang serviert wird, taucht Vračko am Tisch auf, um in seiner hibbeligen und ursympathischen Art voller Begeisterung von einer Überraschung zu erzählen, die mich gleich erwartet. Doch selbst nach dem kurzen Monolog bin ich nicht darauf vorbereitet, was wenige Minuten später in einer Holzbox am Tisch präsentiert wird: Braunbärrücken. Schockiert bin ich zwar nicht, doch in hohem Masse überrascht. Der Kellner erklärt, dass Sloweniens Landfläche zu mehr als 60% von Wald bedeckt ist und Braunbären so zahlreich vorhanden sind, dass sie in gewissen Regionen einer Plage gleichkommen. Somit geniesst man als einziges Land in der EU ein Jagdrecht auf Meister Petz und darf während der kurzen Saison jeweils 300 Tiere erlegen. Aha. Nun, es gibt wohl für alles ein erstes Mal. Ich versuche, so offen wir nur möglich an die Sache ranzugehen, doch der Gedanke daran, gleich das Lieblingstier meiner Kindheit zu verspeisen, ist zumindest nicht förderlich. Der erste Bissen offenbart vor allem eines, sehr viel Rauch. Das Fleisch unter dem eher penetranten Lagerfeueraroma auszumachen, gestaltet sich als schwierig. Von seiner Beschaffenheit erinnert mich das Stück an ein nicht sehr zart gebratenes Onglet. Was ich schmecken kann, erinnert ein wenig an wild, ansonsten erscheint der Bär nicht sehr aromatisch, was aber sehr gut am Rauch liegen kann. Ich beisse mich wortwörtlich durch, probiere auch die gefüllte Morchel und die anderen Beilagen dazu, doch nach knapp der Hälfte des Stückes meldet mein Hirn Feierabend an. Mein Magen verschliesst sich augenblicklich der weiteren Nahrungsmittelaufnahme und ich kriege keinen weiteren Bissen runter. Es ist faszinierend zu sehen, wann und warum der Körper beschliesst zu streiken. Versuche ich das Gericht so objektiv wie möglich zu beschreiben, bleibt eigentlich nur die wenig zarte Fleischstruktur und Rauch übrig. Fraglich ist allerdings, ob ich einfach nichts anderen schmecken konnte oder wollte. Ein für mich höchst bizarres Ess-Erlebnis. Zur Beruhigung muss erstmal ein grosser Schluck Wein her.

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Nachdem sich meine Befürchtung, heute Mittag vielleicht nichts mehr essen zu können, dank einer kurzen Pause nach und nach verflüchtigt hat, bin ich bereit, die süsse Seite Vračkos kennenzulernen. Selbstgemachte Buttermilch mit Rhabarber ist jetzt genau das Richtige. Simpel, vertraut, cremig, mit lebendiger Säure. Nichts, was den Kopf fordert, sondern etwas, das man ganz einfach und unkompliziert geniessen kann.

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"Die Erbeere” zeigt sich von einer ähnlich erfreulichen Seite. Auch wenn die gelungene Deklination des sehr aromatischen und intensiven Rosengewächses sowie die Präsentation förmlich nach einem modernen Dessert schreien, zeigt sich das hübsche Arrangement sehr klassisch. Im Vordergund steht einzig und allein die Erdbeere in ihren verschiedenen Darreichungsformen, was erneut für einen angenehm einfachen und gefälligen Genuss sorgt. Besser könnte das für mich in diesem Moment nicht passen. Würde man unbedingt nach einem Makel suchen wollen, liesse sich vielleicht eine fehlende Komplexität monieren. Allerdings gab es davon zuvor mehr als genug. Und manchmal - gerade bei Desserts - bereitet eben genau das Einfachste die grösste Freude.

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Da sich der Lunch ingesamt sehr leicht präsentiert hat, führe ich mir auch die ausnahmslos exzellenten Petits Fours noch zu Gemüte. Die da wären: Salzkaramell-Pekan – Türkischer Honig – Buchweizenschokolade – Madeleines – Macaron. Ein würdiger Abschluss, dem dieselbe Sorgfalt zuteil wurde, wie dem restlichen Menü. Vorbildlich und sehr lecker.

Ganz so spektakulär wie das Design des Restaurants fiel das Essen von Gregor Vračko zwar nicht aus, Eindruck hat es dennoch hinterlassen. Lasse ich den Bärenrücken aussen vor - schliesslich kann der Chef ja nichts für meine mentale Blockade in diesem Zusammenhang - fiel eigentlich nur die Jakobsmuschel gegenüber dem ansonsten teilweise exzellenten Rest etwas ab. Gerade mit den beiden simplistisch anmutenden Fischgerichten traf die Küche voll ins Schwarze. Sie zeigen auch die beiden Seiten von Vračkos Kreationen auf: die sanfte, zurückhaltende einerseits und die kräftige, fast schon sperrige andererseits. Der Chef ist ein absolutes Unikat, was sich auch entsprechend in seinen Gerichten wiederspiegelt, die ein Ausdruck seiner Persönlichkeit zu sein scheinen. Und die ist manchmal ungewöhnlich, manchmal geradezu schüchtern, dabei immer ursympathisch und kompromisslos. Auch wenn es für mich bei einem Restaurantbesuch immer hauptsächlich ums Essen geht, spielen im Falle des Hiša Denk mit Sicherheit auch die weiteren Umstände des Besuchs eine tragende Rolle. Man kann selbstverständlich alleine aufgrund der Gerichte von Gregor Vračko hier einkehren, was absolut gerechtfertigt ist. Nimmt man jedoch den exzellent und mit viel Umsicht bestückten Weinkeller (eine Weinkarte gibt es übrigens ebenfalls nicht), die umwerfende Architektur und den verwunschenen Garten mit eigenem Bach dazu, ist ein Abstecher nach Zgornja Kungota absolutes Pflichtprogramm, wenn man sich in diesem Teil der Welt befindet. Ich werde mit Sicherheit zurückkehren und dann auch hier übernachten, um dem Gesamtkunstwerk Hiša Denk die Aufmerksamt zu schenken, die es verdient.


Hiša Denk
Zgornja Kungota 11a
2201 Zgornja Kungota
Slowenien
+386 2 656 35 51
Website


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