Frantzén's Kitchen (Jim Löfdahl) - Hong Kong

Die Zeiten, in denen Chefs immer am Herd oder am Pass ihres Restaurants anzutreffen sind, sind längst vorbei. Gerade in der Sternegastronomie, wo die Margen klein, der finanzielle Aufwand gross und der Ertrag oftmals entsprechend gering ist, bauen sich bekannte Köche gerne ein zweites Standbein in Form eines oder mehrerer zusätzlicher Lokale auf. Früher waren es hauptsächlich die Franzosen wie Joël Robuchon, Alain Ducasse oder Pierre Gagnaire, die ihren Namen für Restaurants auf der ganzen Welt zur Verfügung stellten. Gerade Robuchon stand mit seinen Ateliers wie kein Zweiter für weltweite Expansion. Doch auch die jüngere Garde will (oder muss) expandieren. Der Schweizer Daniel Humm betreibt mittlerweile neben seinem Dreisterner Eleven Madison Park mehrere Restaurants in New York City, Los Angeles sowie Las Vegas und wird im Sommer den Sprung zurück über den grossen Teich wagen, wenn er im Londoner Nobelhotel Claridge’s einen Betrieb eröffnet. Dem Drang nach neuen Abenteuern lässt auch Schwedens einziger Dreisternekoch Björn Frantzén freien Lauf. Neben seinem Stammlokal Frantzén betreibt er mehrere Restaurants und einen Cateringservice in Stockholm und ist, wie so viele vor ihm, dem Lockruf Asiens gefolgt. Zwei Lokale in Hong Kong und eines in Singapur zählen mittlerweile zum Portfolio des Schweden. Da die Besuche in seinem dreifach besternten Stammhaus nach wie vor zu den Highlights meiner Esskarriere gehören, war klar, dass ich bei meiner Reise nach Hong Kong sein erstes Projekt ausserhalb Europas namens Frantzén’s Kitchen in Augenschein nehmen muss.
Das kleine, gemütliche Restaurant liegt mitten in Sheung Wan und ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als ich relativ spät abends zum Dinner eintreffe. Eine Auswahl aus der übersichtlichen Karte ist schnell getroffen, das kühle Bier schafft mit der für Hong Kong üblichen arktischen Kälte der Klimaanlage etwas Linderung von der schwülen Hitze draussen. Viel Zeit zum Akklimatisieren bleibt dennoch nicht, denn der erste Snack erreicht im Eiltempo meinen Tisch.

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Ein absoluter Frantzén Klassiker ist das „Schwedische Sushi“, bestehend aus knusprigen Flechten, Reh, Steinpilzmayonnaise und gefrorener Geflügelleber. Sehr wuchtig, aber dank der Säure der Mayonnaise gut ausbalanciert und dadurch erstaunlich elegant. Die Flechten sorgen zusätzlich für ein ansprechendes Texturspiel. Clever und saulecker.

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Weniger gelungen ist eine etwas arg runtergetunte Version des French Toast. Beim Original verschmelzen reichlich Périgord Trüffel, Sauerteigbrot, karamellisierte Zwiebeln, Vacca Rossa Parmesan und 100-jähriger Balsamico zu einem Geschmackserlebnis, das man kaum in Worte fassen kann. In Hong Kong gibt’s dagegen French Toast, Sommertrüffel, Balsam Essig, gereiften Käse und einen Trüffeltee. Selbst wenn man das Vorbild nicht kennt, von dessen Klasse das hier natürlich meilenweit entfernt ist, bleibt das in Summe dennoch relativ enttäuschend. Schlussendlich handelt es sich um nicht viel mehr als ein mit durchschnittlichen Produkten belegtes, sehr dunkel geröstetes Stück Brot. Lediglich der elegante Tee weiss hier zu überzeugen.

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Ganz herovrragend ist dafür das Kalbstartare. Frantzéns Protégé Jim Löfdahl kombiniert das junge Rind mit geräucherter Petersilie, Smetana, eingelegter Zitrone und Maränenrogen. Opulent und im ersten Moment ein wenig plump wirkt das Ganze, entfaltet es doch erst mit zunehmender Dauer seinen gesamten Reiz. Vor allem der anfänglich etwas gar dominante Smetana entpuppt sich als perfekt gewählte Zutat, da das Fett alle Aromen aufsaugt, zusammenbringt und so ein richtig rundes Gericht schafft. Sehr schön.

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Nicht ganz so gelungen ist der Kürbis mit Brokkoli, Trüffel, Kürbis-Haselnuss-Müsli, Trüffel Vinaigrette und Västerbotten Käse. Einerseits ist es sensorisch wenig spannend, da die Süsse des Kürbis alle anderen Komponenten unter sich begräbt, andererseits ist es auch sehr füllend. Würde man diesen zwei Faktoren zumindest mit etwas Säure entgegenwirken und so für Auflockerung sorgen sowie die Proportionen optimieren, wäre das Verdikt sicherlich ein anderes. So ist es bestenfalls durchschnittlich und ich esse auch nicht komplett auf.

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Dem bisherigen Fluss des Abends folgend, schickt Löfdahl auf ein schwächeres wieder ein stärkeres Gericht. Und was für eins! Der Chef kombiniert Kabeljau mit Morcheln, geräucherter Beurre Blanc, Haselnussöl, Spinat und Erbsen zu einem absoluten Knaller. Dieser Teller zeigt auf beeindruckende Art und Weise, wieso Frantzéns Küche zurecht so abgefeiert wird. Makellose Produkte erster Güteklasse. Akkurates, tadelloses Handwerk. Auf den ersten Blick schnörkellos, dabei oftmals komplex, aber immer zugänglich. Anders gesagt, es erfordert kein grosses Nachdenken, um sofort maximalen Genuss zu erleben. Wenn man aber möchte, kann man stundenlang über das perfekte Zusammenspiel der Aromen und Texturen oder die fast besinnungslos machende Tiefe einer Schöpfung wie dieser sinnieren.

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Natürlich hat es der nun folgende gedämpfte Steinbutt nach so einem Highlight nicht einfach. Doch konträr zum bisherigen Menüverlauf ist das zumindest mal kein schwächelnder Gang. Denn der hervorragende Fisch wird trefflich von einer Sauce von fermentiertem Spargel, Tannenschösslingen, Zitruskräutern, grünem Spargel, Minze und Erbsen eingefasst. Das Geschmacksbild wird stark von der herb-säuerlichen Sauce geprägt, die dank der Fermentation eine wilde und ungewöhnliche Note ins Spiel bringt. Passt hervorragend zum Butt. Genauso wie der knackig-frische Rest.

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Hinter dem „Spicy Red“ verstecken sich eingelegte Erdbeeren, rosa Pfeffer und Vanille. Spicy ist das nicht wirklich und trotz der anregend roten Färbung schmeckt man wenig Beeren, sondern hauptsächlich Vanille. Immerhin ist es relativ gefällig und entsprechend schnell verputzt.

Ein ständiges Auf und Ab. Das fasst den Abend im Frantzén’s Kitchen wohl am treffendsten zusammen. Zwischen einigen guten und einem wahrhaftig grossartigen Gericht tummelten sich auch drei Kreationen (French Toast, Kürbis und Dessert), die nicht dem gewohnten Qualitätsstandard eines Restaurants von Björn Frantzén entsprechen. Diese drei schwächeren Teller sind grundsätzlich natürlich nicht erfreulich, aber auch kein Beinbruch - wenn wenn man weiss, was einen erwartet. Doch genau hier liegt die - zugegebenermassen kleine - Krux von Frantzén’s Kitchen. Will man das einfache, nordisch inspirierte Nachbarschaftsrestaurant sein, bei dem der eine oder andere kulinarische Patzer und der teilweise etwas unbeholfene Service Normalität ist? Oder strebt man nicht doch eigentlich nach einem Stern? Die Mehrzahl der Gerichte lässt auf Letzteres schliessen. Doch die ausbleibende Bewertung des in Hong Kong ansonsten fast schon mit Macarons um sich schmeissenden Guides spricht doch eine andere Sprache. Das alles mag natürlich vor allem für Spinner wie mich relevant sein, die extra an weit entfernte Orte reisen, um dort möglichst exzellente Speisen zu geniessen. Dennoch lege ich, trotz einiger Unstimmigkeiten, sogar diesen Spinnern einen Besuch im Frantzén’s Kitchen ans Herz, wenn sie sich denn in Hong Kong wiederfinden sollten. Denn dank einiger toller Gerichte und diesem unverkennbaren, unverschämt lässigen Frantzén-Vibe, ist es einen Stop wert.


Frantzén’s Kitchen
11 Upper Station Street
Sheung Wan
Hong Kong
China
+852 2559 8508
Website