Rechberg 1837 (Carlos Navarro) - Zürich

Rechberg 1837 (Carlos Navarro) - Zürich

Zeitreise in die Vergangenheit

Ein klar definiertes Konzept zu haben, ist nicht nur für Restaurants mit gehobener Küche unabdingbar. Im modernen Zeitalter zählt die Story des Essens sowie die Philosophie des Kochs/Restaurants mindestens genau so viel wie das, was dann wirklich auf den Tellern landet. Deckungsgleich ist das freilich nicht immer und oftmals zeigt sich ein ziemlich grosszügig ausgelegter Interpretationsspielraum in der Umsetzung. Allerdings ist es vielen Gästen zunehmend wichtig, gewisse Vorabinformationen zu haben, bevor ein Tisch reserviert wird. Sucht man in Zürich nach klassisch-modernem Luxus und etwas Exotik, dann kehrt man bei Heiko Nieder im The Restaurant oder bei Stefan Heilemann im Widder ein. Stellt man eher den lokalen Gedanken in den Vordergrund, sind Fabian Fuchs im EquiTable oder Sebastian Rösch im mesa sicher die passenderen Adressen.
Ein Restaurant, das sowohl die lokale Verwurzelung als auch das Storytelling auf eine neue Stufe führt, ist das Rechberg 1837 im Herzen der Stadt. Carlos Navarro, Vordenker und Lenker des Restaurants, bezieht nicht nur alle Produkte aus möglichst nächster Nähe, es werden auch nur Produkte aufgetischt, die bereits 1837 auf den Zürcher Märkten gefunden werden konnten. Eine erfrischende und spannende Einschränkung, die man sich hier auferlegt. Einschränkungen können ja bekanntlich durchaus die Kreativität befeuern, was mich gelassen und gleichzeitig mit reichlich Vorfreude auf die kommenden Stunden blicken lässt. Ein Glas des hervorragenden Blanc de Noir Brut von Adank tut sein Übriges, um in diesem gemütlichen Lokal äusserst entspannt der Dinge zu harren, die da kommen.

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Los geht’s mit Mangold, Mais, Sonnenblumenkerne, eingelegter Zwiebel, Sauermilch mit Bärlauchöl und einem Schuss Buttermilch. Beim auf dem Stein liegenden Happen handelt es sich um eine Art Tamal, interpretiert auf Rechberg Art, mit traditionellen Schweizer Produkten. Das Geschmacksbild zeigt sich durch rauchige und süssliche Noten, ähnlich wie bei seinem mexikanischen Vorbild. Es ist aber viel raffinierter, da das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten sehr exakt justiert ist. Dazu kommt ein sehr ansprechendes Texturspiel zwischen weichteigig, cremig, knusprig und knackig. Für zusätzliche Frische sorgt der Shot. Macht richtig Laune.

rechberg_1837_carlos_navarro_brot

Normalerweise lasse ich das Brot aus meinen Berichten raus. Doch da das Gebäck im Rechberg sogar einen Namen hat, soll es zumindest kurz vorgestellt werden. Es hört auf den Namen Willi und ist ein Sauerteigbrot. Begleitet wird Willi von saurer Butter mit Wildkräutern und Blüten. Süss. Und schmeckt.

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Es folgt ein sehr hübsches Arrangement, das man auch als Studie in Sellerie bezeichnen könnte. Den Baldersellerie (eine alte Selleriesorte mit kräftigem Eigengeschmack) gibt es als Püree, Pulver und frittierte Wurzel. Dazu gesellen sich geröstete Parli Kartoffeln (eine rund 250 Jahre alte Varietät mit buttrigem Geschmack), Schnittsalat, Schnittlauchblüten, eine Petersilienöl-Vinaigrette sowie Apfelhonig und Apfelessig. Man muss die Vielfalt auf dem Teller auch einfach mal in seiner ganzen Pracht würdigen. Obwohl hier ziemlich viel los ist, schafft es die Küchenmannschaft um Carlos Navarro, dank erneut trefflicher Feinjustierung, ein herrlich rundes und abwechslungsreiches Endresultat auf den Tisch zu bringen. Denn die Kreation pendelt gekonnt zwischen einer delikaten Würze, einem sanft-erdigen Unterbau und einer grün-sauren Kräuterfrische hin und her, ohne dass ein Eindruck zu stark dominieren würde. Stark.

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Ein Ausflug in die umliegenden Gewässer fördert eine relativ selten auf dem Speiseplan landende Brachsme aus dem Zürichsee zutage. Bei der Brachsme handelt es sich um einen Süsswasserfisch aus der Familie der Karpfen. Fische dieser Gattung geniessen oft zu unrecht einen eher zweifelhaften Ruf, sollen sie doch öfter mal muffig und schlammig schmecken. Davon zeigt die Brachsme jedoch keine Spur. Ganz im Gegenteil schmeckt das Fleisch eher zart als kräftig, ist von der Struktur eher leicht als fettig, kurzum sehr wohlschmeckend. Durchaus apart zeigt sich die Begleitung in Form von Sellerie- und Zwiebelpulver, Kohlrabi sowie einem Eigelb. Verhältnismässig intensiv, drohen der Kohl und der Eidotter den Fisch zuerst ein wenig zu überlagern. Hat man jedoch alles vorsichtig vermischt, fliessen die einzelnen Komponenten nahtlos ineinander und erinnern an eine sehr hochwertige und gelungene nordische Fischbulette. Einfach in seine Einzelteile zerlegt und vom Gast wieder zusammenzurühren. Wünschenswert wäre hier ein wenig mehr Säure, damit das Ganze ein bisschen leichter daherkommt. Doch bei der angenehm übersichtlichen Portion fällt das erst bei den letzten Bissen wirklich ins Gewicht.

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Weiter geht’s mit einer Randen-Gnocchi-Matte, weissem Spargel, geräuchertem Randenpüree, Federkohlerde, eingelegten Schalotten und Randen, Schafgarbe und Bärlauchblüten. Durch die mannigfaltig inszenierte Rote Bete ist der erste Eindruck ziemlich mächtig und gehörig süss. Erst nach und nach - und bei entsprechender Gabelbelegung - zeigt sich ein homogenes und ausbalanciertes Geschmacksbild. Gerade weil die Stärke dieses Tellers vor allem in der Natürlichkeit der einzelnen Elemente liegt, müsste man die Portionierung noch etwas feiner austarieren. Insgesamt ein bisschen weniger Rande würde nicht nur dem Spargel mehr Platz zur Entfaltung bieten, sondern dem Gericht auch ein wenig von seiner Üppigkeit nehmen. In Summe jedoch immer noch gut und durch die ungewöhnliche Zusammenstellung auch überraschend.

rechberg_1837_carlos_navarro_bresse_poularde

Der Hauptgang Bresse Poularde mit auf Holzkohle gegrillter Frühlingszwiebel ist ein Paradebeispiel für das geflügelte Wort “weniger ist mehr”, besteht er doch aus lediglich zwei Produkten. Im Mittelpunkt steht eine Art Ballotine des Huhns - saftig, zart, kräftig, einfach wunderbar. Auf ihr thronen Crèmetupfer (aus den Innereien des Vogels) und knusprige Hühnerhaut sowie natürlich die süssliche, rauchige, dezent scharfe Zwiebel. Zu guter Letzt wird eine betörend duftende, dunkle, intensive Geflügeljus angegossen. That’s it. Und, ich wiederhole mich gerne, mehr braucht es auch nicht. Eine grossartige Hauptdarstellerin, tadellos zubereitet, umsichtig und nüchtern (aber nicht langweilig) und auf den Punkt eingefasst. G-r-a-n-d-i-o-s.

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Nach dem reduzierten Hauptgang wirkt das Käse-Intermezzo fast schon zügellos. Navarros Crew füllt Manti (das türkische Äquivalent der italienischen Tortellini) mit Stanser Ziegenkäse und serviert dazu Topinambur, Brennessel und Zitronenmelissenöl. Das schmeckt im Prinzip ganz gut, allerdings würde ich mir den hervorragenden Käse etwas präsenter wünschen. Schliesslich sollte er in einer ihm gewidmeten Kreation mehr als nur ein Nebendarsteller sein. Lässt man diesen Einwand aussen vor, ist es aber ein sehr stimmiges Miteinander.

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Ein erfrischendes Rhabarber-Sorbet mit Haselnuss und geschlagenem Sauerrahm leitet in den finalen Teil des Dinners über. Cremig, nussig, mit einer lebendigen Säure, kurzweilig und sehr gelungen.

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Nach dem fast schon klassisch anmutenden, zugänglichen Einstieg in die süsse Welt des Rechberg, folgt mit Apfelkompott und Fenchel quasi der Antipode, der die moderne Seite der Küche zeigt. Während die Kombination an und für sich stimmig ist, passen die Proportionen nicht so wirklich. Die herbe, würzige Anisnote des Fenchels begräbt den fruchtig-säuerlichen Apfel grösstenteils förmlich unter sich, so dass sich dieser nur durch seine knackige Frische, nicht jedoch durch seinen Geschmack, bemerkbar machen kann. Mit einem stärkeren Fokus auf die Balance wäre das mit Sicherheit ein Gewinner.

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Zum Schluss wird ein luftiger Windbeutel gefüllt mit karamellisierter Milch sowie etwas kandierte Rande serviert. Ein stimmiger und äusserst gelungener Ausklang.

So beschränkt das Gebiet ist, aus dem die Produkte im Rechberg 1837 stammen, so frei und offen ist der Geist von Carlos Navarro und seiner Equipe, wenn es an die Nutzung und Verarbeitung der Schweizer Erzeugnisse geht. Obwohl es auf den ersten Blick nicht immer so aussieht, basieren die meisten Gerichte auf einem klassischen Fundament und stehen dadurch der Haute Cuisine Frankreichs viel näher als der neuen nordischen Küche, wo man sie aufgrund des selbst auferlegten Dogmas vielleicht vermuten würde. Auch die zeitgemäss anmutenden Gemüseteller, wie der Sellerie oder die Spargeln, zeigen sich trotz zweifellos modernem, naturnahem Gewand durch ihr Geschmacksbild klar mit dem Herzen im Westen und nicht im Norden verwurzelt. Das sorgt zumeist für zugängliche und in gewissem Masse auch vertraute Kreationen, die mehr durch ihre unaufgeregte Qualität, als durch Effekthascherei und unnötig aufgeblasenes Storytelling bestechen. Was auch perfekt zum Ambiente des Restaurants passt. Denn die (auch von mir) gerne erwähnte Wohnzimmeratmosphäre strahlen nur sehr wenige Lokale so ungezwungen und heimelig aus, wie diese kleine Gaststätte im Herzen Zürichs.
Mein erster Besuch wird sicher nicht mein letzter gewesen sein. Beim nächsten Mal möchte ich vor allem auch die - natürlich - ausschliesslich mit Schweizer Gewächsen bestückte Weinkarte tiefer erkunden. Am liebsten an einem Abend mit live Jazz, wenn inmitten des Wohnzimmers noch eine Band zum Essen spielt.


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Blanc de Noir Brut - Adank
2014 Chardonnay - Gantenbein
Baumnusslikör vom Hüttikerberg - Fam. H. & S. Dubach


Rechberg 1837
Chorgasse 20
8001 Zürich
Schweiz
+41 (0)44 222 18 37
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