Maihöfli (Robert Steuri) - Luzern

Zurück in die Zukunft

Ist Namedropping noch en vogue? Sergio Herman, Nick Bril, Syrco Bakker, Jeroen Achtien, Robert Steuri. Liest sich ziemlich beeindruckend. Warum die ersten vier Namen hier überhaupt eine Relevanz haben, wird sich heute zeigen. Letztgenannter ist der einzige Nicht-Holländer im Bunde und hat in der Vergangenheit bei den vier Niederländern gearbeitet. Als er im Boutiqe Hotel Glacier in Grindelwald das erste mal Chef am Herd war, erkochte er 15 GaultMillau Punkte.
Im Herbst 2023 ist er von den Alpen an den herrlichen Vierwaldstättersee umgesiedelt. Gemeinsam mit zwei Partnern im Rücken bespielt er nun das Maihöfli in Luzern, das sich nach dem Abgang von Oscar de Matos (zum Bericht) unter der neuen Pächterschaft anschickt, direkt wieder für Furore zu sorgen. Das Maihöfli spielte in der jüngeren Vergangenheit eine bedeutende Rolle in der lange Jahre eher tristen Gastrolandschaft Luzerns, die das Restaurant auch künftig einnehmen will.
Nach der Übernahme durch Christoph Aebersold und Agron Tunprenkaj (die man aus dem besternten UniQuisine im nahen Stansstad kennt) wurde das Lokal sanft renoviert. Das dunkle Braun und die harten Kontraste erwartet man aktuell nicht unbedingt in einem Fine Dining Etablissement. Das Interieur, inklusive mächtigem, goldumrahmten Spiegel, erinnert eher an eine gehobene Brasserie aus vergangenen Tagen. An diesem trüben Wintertag wirkt das Ganze auf den ersten Blick vielleicht etwas düster, besitzt aber gerade deshalb einen ganz eigenen, unerwarteten Charme. Man kann es sich hier auf jeden Fall gemütlich machen. Genau das gedenke ich in den kommenden Stunden zu tun. Der Lunch beginnt mit einem Glas Diamant Brut von Vranken…

… bevor es mit zwei Snacks losgeht. Links ein Karotte-Bao Bun mit Ingwer, Schalotte und Tamarinde, rechts ein Tartelette mit Ratatouille Ajvar, Aubergine und geröstetem Knoblauch. Die beiden Happen sind auffallend aufwändig und akkurat gearbeitet. Beim Bun gefällt vor allem die hintergründige Schärfe, die Süsse und Säure optimal akzentuiert. Das Tartelette ist ungleich wuchtiger, überzeugt aber ebenfalls mit einem fein abgestimmten, mediterran-orientalischen Aromenspiel.

Herrlich wärmend ist die Kohlrabi-Miso-Suppe mit Curry Öl. Erdig, süsslich, umamireich, mit einem Hauch von exzellent dosierter Würze. Das könnte man durchaus auch in grösserer Ausführung servieren.

Bei der Rande mit Reis, Anis und Fingerlimette steigen die hocharomatischen Anisdüfte bereits beim Servieren des Tellers in die Nase. Ich mag diese Aromatik grundsätzlich sehr. Je nach Gabelbelegung nimmt sie jedoch fast zwangsläufig überhand und dominiert. Mit einem bisschen Feingefühl bastelt man sich jedoch kleine Bissen, die das volle Potenzial dieser spannenden, andersartigen Kombination zeigen. Medizinisch angehauchte Aromen wirbeln umher, pointierte Säure bringt die nötige Balance in das süsslich-erdige Grundgerüst. Aussergewöhnlich ist auch die Rolle, die der Reis einnimmt. Eher zurückhaltend, erinnert er in diesem Ensemble teilweise an Sake aus nicht zu stark geschliffenem Reis, wie beispielsweise ein Honjozo. Eine gewisse Üppigkeit, die aber nicht überbordend ist und dem Ganzen ein Rückgrat verleiht. Mit ein wenig Feinschliff könnte jede Gabel grossartig sein.

Akkurat zu einem Türmchen geschichtet wird der Saibling mit Bohne, Jalapeño und Crème Fraîche. Dass ich den Fisch beim ersten Bissen überhaupt schmecke, überrascht mich. Schliesslich ist die Einfassung überaus kräftig. Doch der Saibling fühlt sich in dieser dichten Inszenierung total wohl. Steuri schafft es, trotz der Intensität ein wunderbar harmonisches und exzellent austariertes Geschmacksbild zu kreieren. Jeder Bissen untermalt von einer tragenden, animierenden Schärfe, die für einen belebenden Kick sorgt. Sehr stark.
Die Kombination weckt in mir Assoziationen, die ich aber beim besten Willen nicht benennen kann. Der Chef erläutert mir die Inspiration: ein mexikanischer Fisch-Taco. Und genau das ist es - die Erinnerung an meinen letzten Fisch-Taco im Hija de Sanchez in Kopenhagen.

Whisky verorte ich kulinarisch gemeinhin in einer Ecke von unnötig aufgemotzter Altmänner- oder Hobbygriller-Küche, mit der ich in der Regel wenig anfangen kann. Deshalb bin ich umso gespannter, wie der Schnaps in Kombination mit Pilzen, Haselnüssen und Rosenkohl funktioniert. Steuri akzentuiert vor allen Dingen die herb-süssliche, sanfte Rauchigkeit des Destillats. Keine Spur von Nasenhaarversengender Alkoholschärfe oder dergleichen. Man ist in eher sanft wogenden Gewässern unterwegs. Klare Nussigkeit, Umami, Erdigkeit, eine präsente Säure von den (teilweise eingelegten) Pilzen. Der Whisky spielt die Hauptrolle, seine Mitspieler nehmen einzelne Nuancen auf, verstärken sie kurzzeitig, nur um dann ins in sich geschlossene Ganze zurückzugleiten. Überraschend facettenreich und feinsinnig.

Der Chef hat bereits unter Beweis gestellt, dass er leichtfüssig symbiotische Beziehungen zwischen vermeintlichen Antagonisten herstellen kann. Das schafft er beim Kabeljau mit Senfgurke, Curry und Tom Kha erneut auf vorzügliche Weise. Der vermeintliche Störenfried ist hier natürlich die Senfgurke. Zusätzlich hege ich die Befürchtung, dass der eher neutral schmeckende Fisch unter den kräftigen Mitspielern begraben wird. Es zeigt sich schnell, dass weder der Fisch im Hintergrund abtaucht, noch sich die Gurke als störend erweist. Ganz im Gegenteil bringt das gepickelte Gemüse immerzu seine knackige Säure ins Spiel, die die kompakt-komplexe Kombo aus Curry und Thaisuppe aufbricht. So ungewöhnlich wie clever. Auch wenn ich in diesem Leben wohl kein allzu grosser Fan von Kabeljau mehr werde, behauptet sich der Meeresbewohner aus der Dorschfamilie und kann die rustikalen Geschmäcker gut ab. Und selbst mit dem verhaltenen Kabeljau ist das ein absolut köstlicher Teller.

Hinter dem Kalb mit Zwiebel, Meerrettich und Karotte versteckt sich ausgebackenes Bries, das in ein dezidiert süssliches Beet gelegt wird. Scharf angebratene Zwiebeln bringen durch ihre intensiven Röstaromen ebenso wie der grosszügig darüber geraspelte aber nicht allzu scharfe Meerrettich zusätzliche Dimensionen auf den Teller. Vor allem das Zusammenspiel der erdigen Süsse der Möhre mit dem Kalbsbries erweist sich als sehr apart. Letzteres hätte für meinen Geschmack ein paar Sekunden länger gegart werden dürfen, damit es einen Ticken fester und die Ummantelung noch ein wenig krosser wird. Weil das Bries in der Sauce liegt, büsst es zudem ein wenig seiner verführerischen Knusprigkeit ein, die für für mich oftmals den Charme dieser Delikatesse ausmacht. Wie beim Fisch zuvor ist das vor allem eine persönliche Präferenz, denn in Summe ist auch diese Kreation einfach zum Weglöffeln gut.

Geradezu klassisch mutet das Rind mit Gulasch, Kartoffel und Peperoni an. Angesichts der Tatsache, dass die Fotografin von The Important Stuff aus Ungarn stammt, spielt die Authentizität dieses Gerichts eine besonders wichtige Rolle. Das einzige, was an diesem Teller nicht authentisch ist, ist die Optik. Ansonsten ist das eine der schmackhaftesten und gelungensten Interpretationen des eigentlich Pörkölt genannten ungarischen Nationalgerichts, das bei uns als Gulasch bekannt ist. Zartes, mürbes, dennoch enorm saftiges Rind. Präsenter, pointierter, dabei perfekt justierter Einsatz von getrockneter Paprika mit einem Hauch von Schärfe. Enorme Tiefe und Komplexität in der Sauce. Dazu die unverzichtbaren Beilagen Savanyúság (eingelegte Gurken) sowie Sauerrahm, die einen der besten Hauptgänge jüngerer Vergangenheit abrunden. Mit dem luftigen, federleichten gedämpften Brötchen lässt sich auch noch der letzte Rest dieses Elixiers aufmoppen. Es wurde an alles gedacht. Grandios!

Eine Augenweide, wie so viele der Teller von Steuri, ist auch der erste Teil des letzten Menüaktes: Mandarine, Vanille, Miso und Oxalis. Allerdings will sich der optische Funke nicht so ganz in grenzenlosem Genuss widerspiegeln. Es ist beileibe nicht schlecht, weit davon entfernt sogar, und ich bekunde Mühe damit, genau zu benennen, was nicht passen will. Es schmeckt erstmal diffus. Doch die Idee ist stimmig, das Handwerk, wie immer heute, von einer nahezu makellosen Präzision, doch was ist es dann? Nach längerer Diskussion am Tisch mache ich die Mandarine als Übeltäter aus. Es ist zum Zeitpunkt meines Besuchs spät in der Saison, es fehlt ihr somit an Säure, dieser ausgeprägt-zitrussigen Fruchtigkeit und der typischen Verve, die sie zumeist ausmacht. Ich bin sicher, wäre ich einen Monat früher im Maihöfli eingekehrt, wäre das ein sehr gutes Dessert.

Ein Instant Hit hingegen ist der Kürbis mit Gewürzmilch, Kaffir Limette und Kernöl. Diese Kreation ist eine Blaupause für ein modernes Dessert. Dezente Fruchtgemüsesüsse, wohlig-wärmende Vertrautheit, unterlegt von einer optimal dosierten Säurekomponente, die ein allzu molliges, langweiliges Gesamtbild gekonnt verhindert und auch die nötige Balance ins Spiel bringt. Dazu mit dem Öl ein herzhafter Kontrapunkt, der zusätzliche Spannung und Tiefe erzeugt. Grosse Klasse.

Die Petit Fours: Pekannuss Praline - Cassis Macaron - Topinambur Glace bereiten zum Espresso einen gelungenen Abschluss.

Im neuen Maihöfli will es einer wissen und direkt durchstarten. Robert Steuri tobt sich aus und scheut keine Mühen, um seine Vision einer modernen, filigranen Hochküche umzusetzen. Mit seinen unverkennbaren niederländischen Einflüssen und der kleinteiligen, in die Höhe schiessenden Anrichteweise wirkt sein sich in der Entwicklung befindlicher Stil fast ein wenig anachronistisch und wie die Flucht zurück in die Zukunft, die die eingangs genannten Chefs vor nicht allzu langer Zeit verkörperten. Hip ist das in einer Zeit, in der das Klassische und die Reduktion aufs Wesentliche oftmals im Fokus steht, sicher nicht. Dafür ist es erfrischend anders und unkonventionell zugleich. Steuri ist auch nicht etwa stumpfer Kopierer, es ist mehr das Gefühl, das seine Kreationen beim Essen transportieren, als der tatsächliche Geschmack, der Reminiszenzen an die Chefs von der Nordsee weckt. Seine ganz persönliche Geschichte und sein ureigener Stil werden sich nach und nach rausschälen, davon bin ich überzeugt.
Allen voran stimmt aber natürlich nicht nur das Wie, sondern vor allem das Was auf den Tellern landet. An der einen oder anderen Stellschraube kann man natürlich noch drehen, jedoch präsentieren sich Steuris Kreationen im Grossen und Ganzen bereits sehr ausgereift, eigenständig und vor allem köstlich. Was man bei der filigranen Optik vielleicht nicht unbedingt vermutet: im Kern ist seine Küche weltoffenes Soulfood, das sich in einem schillernden Gewand präsentiert. Das schaffen nicht viele Köche auf diesem Niveau.
Der Grundstein ist gelegt. Der Start bereits äusserst vielversprechend. Man dürfte in Zukunft noch sehr viel von Robert Steuri und dem neuen Maihöfli hören. Die bedeutende Rolle in der Spitzengruppe der Luzerner Gastrolandschaft ist dem Lokal auch weiterhin gewiss. Und da geht definitiv noch mehr.


Die Weinbegleitung:
Diamant Brut Vranken
Shot No 05 2021 Shot Vin
El Sueco 2020 Bodegas Virtus
Heida Barrique 2021 St. Jodern Kellerei
Wehlener Sonnenuhr Spätlese 2020 Joh. Jos. Prüm
Castello Fonterutoli 2019 Mazzei
Brut NV Weingut Familie Hansruedi Adank
Trittenheimer Apotheke Riesling Kabinett 2021 Ansgar Clüsserath


Restaurant Maihöfli
Maihofstrasse 70
6006 Luzern
+41 41 420 60 60
Website

 

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