Ecco St. Moritz (Rolf Fliegauf) - Champfèr

Was haben Ascona und St. Moritz gemeinsam? Neben dem mondänen Ruf, der ihnen vorauseilt, haben die beiden weltweit bekannten Kurorte ein Restaurant, das sie sich sich teilen. So quasi. Rolf Fliegauf hat sich im Ecco im Hotel Giardino in Ascona in die Schweizer Elite gekocht (2* Michelin Sterne - 17 Gault&Millau Punkte). Für die Wintersaison tauschen er und sein Team jeweils ihre Sommerresidenz im Tessin gegen einen Herd nahe der Pisten der Reichen und Schönen im Engadin. Auch das Schwesterrestaurant in den Alpen ist mit zwei Sternen dekoriert, steht im Gault&Millau jedoch um einen Punkt schlechter da als das Stammlokal.
Heute Abend wird mein erstes "echtes" Rencontre mit der Küche Fliegaufs sein. Bis jetzt kenne ich die Ecco-Küche (wenn es denn eine solche Küche geben sollte) lediglich aus dem fantastischen Ecco in Zürich. Dort hat sich Stefan Heilemann, frührerer Sous-Chef von Rolf Fliegauf, aus dem Stand zwei Sterne erkocht und serviert eine begeisternde Küche, die für mich zu den besten der Schweiz gehört (nachzulesen zum Beispiel hier und hier). Höchste Zeit also, seinem früheren Chef endlich einen Besuch abzustatten.
Nachdem ich mich kurz auf dem Zimmer erfrischt und den Lunch auf Schloss Schauenstein einige Stunden zuvor mit reichlich frischer, kühler Bergluft aus meinen Gelenken geschüttelt habe, sitze ich nun bequem quer gegenüber der Küche an meinem Tisch und beobachte das muntere treiben. Ein Glas Perrier-Jouët Belle Epoque 2006 verkürzt die Wartezeit, bis der erste Snack serviert wird.

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Pochierte Gillardeau Auster mit Eisbein und Radieschen sorgt für einen äusserst schmackhaften Einstieg in die kulinarische Welt von Fliegauf. Die jodige Meeresfrische veträgt sich prächtig mit der herzhaften Haxe und den leicht scharfen Radieschen.

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Ein dekonstruierter Caesar Salat ist toll abgeschmeckt und knackig frisch. Trockenfleisch aus dem Engadin zeugt von sorgfältigem Produkt-Sourcing und das bereits aus dem Ecco in Zürich bekannte Malzbrot (hier mit Schnittlauchcrème) ist sowieso über jeden Zweifel erhaben.

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Das nächste Amuse Bouche Jakobsmuschel mit Yuzu und Salat hat durchaus Potenzial, jedoch ist die Feinabstimmung der kräftigen Aromen nicht perfekt geglückt. Der interessante, nussige Leinsamenschip und die Yuzu überlagern die restlichen Komponenten etwas zu stark. Ein ähnliches Gericht ist im Ecco in Zürich merklich besser ausgefallen.

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Pure Harmonie versprüht hingegen Schwarzwurzel, Périgord Trüffel und Kakao. Die perfekt integrierten Bitternoten des Kakaos ergänzen diese äussert süffige Petitesse um eine sehr spannende Komponente - fantastisch!

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Fast genauso gut sind die Kräuter mit Schnecke und Pilz. Kräftig, mit mundfüllendem "Waldaroma" und schönem Texturspiel. Lediglich ein bisschen mehr Schnecke (und Schneckenkaviar) hätte es sein dürfen.

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Taschenkrebs mit Rettich markiert den Abschluss der Amuses. Das fantastische, süsslich-jodige Krebsfleisch harmoniert wunderbar mit den verschiedenen Rettichzubereitungen, die eine knackige Säure und eine willkommene Schärfe ins Spiel bringen und die delikate Krabbe so optimal ergänzen. Sehr gut!

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Das Menü startet mit einem Foie Gras Müsli. Die Leber kommt als Crème sowie geeist auf den Teller, begleitet von Schwarzer Johannisbeere, Sauerklee und knuspriger Hühnerhaut. Eine angenehm frische, kühle Interpretation des ewigen "Foie mit Frucht" Themas. Schmelz, feine Fruchtsäure und vor allem die herb-grüne Kräuterigkeit der Oxalis sorgen für ein abwechslungsreiches wie schmackhaftes Gericht. Lediglich die Hühnerhaut stört hier in meinen Augen ein wenig, da sie das harmonische Konstrukt mit ihrer fetten Knusprigkeit zu stark torpediert.

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Weiter geht's mit der Inspiration aus Asien - geflämmter Thunfischbauch, Wasabi, Alge und Ponzusud. Der fettige Thun ist von sehr guter Qualität und profitiert von der kräftigen, komplexen Einfassung. Die Alge setzt dem Fisch einen geradezu klassischen Akkord gegenüber. Fesch untermalt wird diese Kombo vom Sud, der mit seiner umamireichen Säure richtig konter bietet und für mächtig Gaumenaction sorgt. Etwas präsenter hätte der Wasabi ausfallen dürfen, vor allem die Schärfe vermisse ich ein wenig. Doch das ist letztendlich auch meiner persönlichen Präferenz für Scharfes geschuldet. Ein toller Gang.

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Carabinero mit Mandel, Prunier Paris Kaviar und Limone wartet mit einem Prachtexemplar des Edelkrebses auf, wie ich es in dieser Grösse, in einem Restaurant dieser Klasse, bis heute noch nicht vorgesetzt bekommen habe. Der perfekt glasig gegarte Schwanz wird ergänzt durch die zitrussige Frische eines Limonensuds sowie eine Jus aus den Karkassen und dem Kopf des Carabineros. Und natürlich etwas Kaviar. Dieser dient aufgrund der Dosierung eher als Würzelement, als das er sich als gleichberechtigter Mitspieler ins Rampenlicht drängen würde. Ein cleverer Schachzug, da so die maritime Süsse des Krebses toll aktenzuiert wird. Reduziert, fokussiert und verdammt lecker.

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Ein Schwarzer Seehecht aus Patagonien mit roter Bete und Rauchaal folgt als nächstes Meeresintermezzo. Warum man für diesen Gang einen relativ geschmacksarmen Fisch vom anderen Ende der Welt verwenden muss, erschliesst sich mir im ersten Moment nicht. Auch nach der zweiten und dritten Gabel nicht. Hier dürfte man, meiner Meinung nach, durchaus etwas lokaler denken. Wie dem auch sei, abgesehen vom neutralen Hecht ist dieser Teller fantastisch. Was vor allem der milchigen Aalvelouté geschuldet ist, die eine komplexe Tiefe erreicht, die man anhand der Optik sicher nicht erwartet hat. In Kombination mit dem geräucherten Aal und den verschiedenen Bete-Präparationen ergibt das ein herrlich eindringliches Kraftpaket voller Umami. Abgesehen vom Fisch ein fantastischer Gang.

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Mit dem Angus Ochsen aus dem Engadin mit Klettenwurzel und Pilzen wird's nun richtig mollig und winterlich. Das kernige, ultrazarte Fleisch besticht durch einen fantastischen Geschmack und eine angenehme Fettigkeit. Weiter zur glücklichmachenden Herzhaftigkeit des Gerichts tragen viele unterschiedliche Pilze bei sowie eine tolle Jus, die für geschmacklichen Zusammenhalt sorgt. Ergänzt wird das Ganze durch die erdige Süsse der Klettenwurzel, die auch ein wenig texturelle Abwechslung auf den Teller bringt. Grossartig und ein weiterer Beweis dafür, dass geschmortes Fleisch der unangefochtene König unter den Zubereitungsmethoden aller karnivoren Vergnügen ist.

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Als Einstimmung auf den Hauptgang serviert Fliegauf eine Entenconsommé mit Entenherz und Zwiebeln. Die Consommé verdient eigentlich den Namen Essenz, so dicht und klar ist sie. Die puristische Einlage mit einer meiner liebsten Ingredienzen, dem Entenherz, und der Zwiebel fällt ganz einfach perfekt aus und macht aus diesem unscheinbaren Schälchen einen absoluten Höhepunkt. Grandios!

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Auf einem ähnlichen Level befindet sich auch der zweite Teil: Challans Ente mit Rotkohl. Ein wunderschönes Produkt, abwechslungsreich in Szene gesetzt. Die sehr gute Brust versteht sich prächtig mit der tiefen Jus, der knusprigen Haut und dem leicht säuerlichen Kohl. Eine gefällige, einwandfrei umgesetzte Kombination. Der heimliche Star dieses Tellers ist aber nicht das grosse Stück Fleisch, sondern das unscheinbare Dimsum. Der delikate Teig ist gefüllt mit Enteninnereien und birst beim Reinbeissen regelrecht vor wohliger Intensität und vielschichtiger Kraft. Die gefüllte Teigtasche ist so saulecker, dass ich mir davon ein Dutzend wünsche, die in der grandiosen Consommé von vor einigen Minuten schwimmen.

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Nach einer kurzen Pause folgt das erste Dessert des Abends. Zitrusfrüchte, Joghurtcrème im Pfefferbiskuit und Joghurt-Kalamansicrème macht alles richtig. Erquickende Säure und dezente Süsse halten sich schön die Waage, das Biskuit bringt einen angenehmen Crunch. Genau das richtige, um müde Papillen wieder auf Vordermann zu bringen.

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Nicht ganz so gelungen ist die "Schokoladentafel Traube Nuss". Die Idee ist zwar ganz nett und texturell ist es zu diesem späten Zeitpunkt im Menü ganz angenehm, da nicht einheitlich "weich". Aber es schmeckt leider nach fast nichts. Die Trauben sind komplett neutral, die Schokolade macht sich kaum bemerkbar, die Nüsse wirken pappig. Dass das Ganze arg kühl serviert wird, trägt sein übriges zum nicht sehr gelungenen Gesamteindruck bei. Schade.

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Von einem ganz anderen Kaliber ist Milch, Kastanienhonig und Alba Trüffel. Der betörende Duft des Tuber magnatum gepaart mit einem cremigen Milcheis und der zurückhaltenden Süsse des Honigs ist ein Volltreffer. Da könnte ich gut und gerne noch ein, zwei Portionen davon verdrücken...

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Sehr gut auch die abschliessenden Friandises: Rote Bete, Foie Gras und Lakritz - Grüner Apfel, Ziegenquark und Dill - Heu, hagebutte und Malz - Bionda Schokolade, Mandarine und Lebkuchen. Hochfein gearbeitet und spannend kombiniert lassen sie das Dinner auf einem Hoch ausklingen.

Warum sich Rolf Fliegauf zu einem der profiliertesten Köche der Schweiz entwickelt hat, hat dieses Essen eindrucksvoll gezeigt. Der schmackhafte Mix aus klassischer Schule und moderner Technik überfordert trotz vieler verschiedener Einflüsse zu keiner Zeit. Man ist immer gespannt und hungrig auf das nächste Gericht - eine Kunst die nicht allzu viele Köche beherrschen. Dazu kommt die sehr ansprechende Optik seiner Teller, die einen dazu animiert, so richtig zu schlemmen. Nach dem Ecco St. Moritz und dem Ecco Zürich fehlt nun nur noch ein Besuch im Stammhaus in Ascona. Nach dem heutigen Abend ist ein Abstecher in die Sonnenstube der Schweiz auf meiner Liste ein ganzes Stück weiter nach oben gerückt.


Ecco St. Moritz
Via Maistra 3
7512 Champfèr
Schweiz
+41 (0)81 836 63 00
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